Neue Stolpersteine erinnern an das Unfassbare

Freising setzt erneut Zeichen gegen das Vergessen der unfassbaren Verbrechen des NS-Terrorregimes: Im gesamten Stadtgebiet wurden zwölf neue „Stolpersteine“ verlegt, die im Speziellen an die so genannten Krankenmorde während des Dritten Reichs erinnern sollen. Stellvertretend für die elf übrigen Opfer wurde vor dem Anwesen am Rindermarkt 20 der Gedenkstein für Wilhelmine Krippner enthüllt. Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher wies auf die Wichtigkeit des Erinnerns hin und zeigte auf, dass die so wichtige Erinnerungskultur in der Domstadt lange Zeit eine untergeordnete Rolle spielte. Geschichtsreferent Dr. Guido Hoyer skizzierte im Anschluss die Geschichte der NS-Krankenmorde – ein menschenverachtendes Grauen, das heute schwer vorstellbar ist.

Bei eiskaltem Winterwetter hatten sich vor dem Gebäude am Rindermarkt 20 einige Freisinger*innen eingefunden, ebenso Mitglieder der Stadtverwaltung, des Stadtarchivs und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (kurz: VVN-BdA Freising). OB Tobias Eschenbacher hielt in einer kurzen Ansprache ein Plädoyer gegen das Vergessen: „Es ist schon lange an der Zeit, dass wir in Freising an das unfassbare Leid, das diesen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor nunmehr 80 Jahren widerfahren ist, erinnern“, so Eschenbacher. „Damit wir sie – jede und jeden einzelnen von ihnen – nicht vergessen. Und damit wir auch das, was man ihnen angetan hat, nicht vergessen – und auch nicht, wer die Verbrechen begangen hat und warum Mitmenschen sie zugelassen haben. Daran wollen und daran müssen wir erinnern.“
 
An diesem 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag sowie Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Jahre 1945, war dieser Appell umso eindrücklicher. Und eindrücklicher auch, weil in Freising die Verbrechen der NS-Zeit lange praktisch kein Thema waren. Eschenbacher: „Noch im Jahr 1983 lehnte der Freisinger Stadtrat mehrheitlich zwei Anträge ab, die gefordert hatten, anlässlich der anstehenden 50. Wiederkehr der Machtübernahme von 1933 das Thema Nationalsozialismus stärker zu thematisieren.“ Ein Umdenken habe erst allmählich stattgefunden nachdem sich praktisch zeitgleich eine Arbeitsgruppe unter der Federführung von Sonja Kochendörfer, Toni Schmid und Ernest Lang gegründet hatte; ebenso ein Schulprojekt des Lehrers Franz Then am Josef-Hofmiller-Gymnasium.

Enthüllung des neuen Stolpersteins am Rindermarkt

Stolpersteine und Gedenktafeln halten die Erinnerung wach

Im Jahr 2000 führte ein Antrag von Stadtrat Guido Hoyer schließlich dazu, dass an der West-Fassade des Marcushauses eine Gedenktafel angebracht wurde, die an die jüdischen Familien Lewin, Holzer, Krell, Neuburger und Schülein. Sie alle wurden Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung. 2005 und 2007 wurde mit der Verlegung von – in anderen Städten bereits damals bekannten – „Stolpersteinen“ begonnen, die vor Häusern im Boden eingelassen an frühere Bewohner*innen, bzw. NS-Opfer erinnern. Anfangs gedachten die in der Farbe Gold gehaltenen Steine verfolgten und ermordeten Juden. Der erste Stein zur Erinnerung an Opfer der so genannten NS-Krankenmorde wurde 2021 verlegt – auf Initiative von OStR Andreas Decker vom Camerloher Gymnasium. Das Gedenken in Freising wurde damit weiter ausgeweitet und gelebt, denn, so OB Eschenbacher: „Erinnerungskultur lebt immer auch davon, dass etwas gesehen, entdeckt und richtig eingeordnet wird.“ Die – mittlerweile 30 – Stolpersteine machten zudem klar, dass die Opfer Nachbarinnen und Nachbarn waren und „mitten unter uns in unserer Stadt“ gelebt hätten. Die Verlegung der Stolpersteine wurde in Zusammenarbeit des Stadtarchivs, des VVN-BdA und des Bauhofs organisiert und durchgeführt.

Opfer als „lebensunwert“ eingestuft

Wie menschenverachtend und akribisch die Nazis bei der Beseitigung psychisch kranker und behinderter Menschen vorgingen, schilderte Geschichtsreferent Hoyer in seiner Ansprache, die das ganze Grauen vergegenwärtigte. Demnach seien bei der „Aktion T4“ insgesamt 300.000 Menschen in Gaskammern geschickt worden – auf Basis äußerst fragwürdiger Diagnosen durch NS-Ärzte, die von schizophrenen Störungen über Epilepsie bis hin zu „debiler Psychopathin“ reichten. Die insgesamt zwölf Opfer stammten aus vielen Freisinger Stadtteilen und waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung, so Hoyer, zwischen 20 und 63 Jahren alt. Ihre Ermordungen erstreckten sich November 1940 bis April 1941. Die Krankenmorde, von den Nazis „Euthanasie“ genannt, wurden nach eindringlichen Protesten aus der Kirche schließlich eingestellt. Dennoch gab es immer wieder Ermordungen aufgrund von psychischen oder körperlichen Behinderungen.

(Im Grundgesetz) heißt es nicht, die Würde des Deutschen oder des Gesunden ist unantastbar – es heißt: ‚die Würde des Menschen ist unantastbar‘!
Dr. Guido Hoyer

Geschichtsreferent Dr. Guido Hoyer betonte am Ende Artikel 1 unseres Grundgesetzes: „Darin heißt es nicht, die Würde des Deutschen oder des Gesunden ist unantastbar – es heißt: ‚die Würde des Menschen ist unantastbar‘!“

Die Stadt Freising erinnert an die Opfer der NS-Krankenmorde:

Bartholomäus Bauer
Maria Grassl
Karl Haunschild
Franz Xaver Huber
Anna Hufschmied
Wilhelmine Krippner
Benno Riedl
Emilie Schindler
Lampert Schuster
Ursula Seibold
Rosina Steinecker
und Walburga Thalhammer.

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